Das künstliche Gelenk

 

Das allerbeste Gelenk ist das Gelenk, das uns die Natur gegeben hat. Es kann nun sein, dass ein Gelenk einen angeborenen Schaden hat und dadurch im Verlauf des Lebens vermehrt abgenutzt wird oder es infolge  von Verletzungen zu einem zunehmenden Schaden kommt, der über die normalen Altersveränderungen hinausgeht und sich eine Arthrose entwickelt, also ein zunehmender Gelenkschaden, der das betroffene Gelenk in seiner Funktion zunehmend beeinträchtigt und zunehmend Schmerzen bereitet.

Bis Mitte des letzten Jahrhunderts gab es in diesen Fällen keine andere Lösung, als die zunehmende Funktionseinschränkung zu akzeptieren und das Leben an die verminderte Belastbarkeit anzupassen, allenfalls unterstützend Schmerzmittel zu sich zu nehmen sowie physikalisch medizinische Therapien zu nutzen um die Beschwerden ertragbar zu halten. In ganz schweren Fällen wurde allenfalls eine Versteifungsoperation durchgeführt, die zwar zur Beschwerdefreiheit führte aber auch mit dem Nachteil, die Gelenksfunktion zu verlieren.

Seit Mitte des letzten Jahrhunderts existiert eine zusätzliche Lösungsmöglichkeit, nämlich die Möglichkeit ein Kunstgelenk einsetzen zulassen. Diese künstlichen Gelenke wurden anfänglich immer zementiert eingesetzt, in den letzten Jahren haben sich aber zuerst im Hüft-, dann auch im Kniebereich zunehmend auch zementfreie Prothesen bewährt, bei denen der körpereigene Knochen sich selbst mit der Prothesenoberfläche verbindet.

Als Lebensdauer eines künstlichen Gelenks wird im Normalfall zwischen 15 und 20 Jahre angegeben. Wissenschaftlich beantwortet muss diese Frage aber mit der 10-Jahresüberlebensrate eines künstlichen Gelenkes beantwortet werden, also die Rate von 100 implantierten Prothesen, die nach 10 Jahren immer noch problemlos funktionieren. Diese Rate ist bei den heutigen Implantaten sowohl im Hüft- wie Kniebereich zwischen 95 und 98 Prozent. Dies bedeutet, dass innert 10 Jahren zwischen 3 und 5 Prothesenträger eine Zweitoperation  brauchen, einige davon vielleicht schon nach 2 oder 3 Jahren, oder auch erst nach 8. Auf der anderen Seite haben aber 95 bis 98 dieser 100 Prothesenpatienten nach 10 Jahren immer noch ein einwandfrei funktionierendes Kniegelenk.

Wenn es dann nach 15 bis 20 Jahren zu einer allmählichen Lockerung des künstlichen Gelenks kommt, bedeutet dies in der Regel nicht, dass das künstliche Gelenk plötzlich nicht mehr funktioniert; vielmehr ist es möglich, dass sich allmählich bei stärkerer Belastung wieder etwas Schmerzen einfinden, wobei sich dann oft gleichzeitig im Röntgenbild allmählich gewisse Lockerungszeichen zeigen. Werden die Beschwerden dann zunehmend, so dass ein aktives Vorgehen gewünscht wird, kann in der Regel durch einen Prothesenwechsel wieder eine einwandfreie Funktion erreicht werden, wobei häufig dann spezielle Revisionsprothesen verwendet werden müssen. Das Zweitgelenk hat dann in der Regel wieder eine ähnlich zu erwartende Lebensdauer wie das Erstgelenk.

Was sind die Risiken eines künstlichen Gelenkes?

Wie bei jeder Operation besteht ein gewisses Infektionsrisiko. Das Infektionsrisiko wird aber durch eine routinemässige antibiotische Abschirmung, welche bereits vor Operationsbeginn gestartet wird, sowie durch das Durchführen der Operation in modernen Operationssälen mit laminarer Strömung der Luft möglichst tief gehalten. Damit sind primäre Infektionen zwar nicht unmöglich aber als relativ selten zu bezeichnen. Selten auftretende primäre Infektionen müssen mit sofortiger antibiotischer Therapie behandelt werden, oft auch durch eine relativ rasch durchzuführende Revisionsoperation. Ein schlechter Allgemeinzustand, Rauchen, hohes Alter, exzessiver Alkoholkonsum sowie internistische Begleitdiagnosen erhöhen das Infektionsrisiko deutlich. Wer solche Risiken minimieren will, hört vor einem grösseren Eingriff auf zu rauchen und erhöht seine allgemeine Gesundheit durch vernünftige Ernährung, regelmässiger sportlicher Betätigung und weiteres.

Welche Risiken bestehen für einen Prothesenträger?

Als Träger eines künstlichen Gelenks hat man einige Risiken zu akzeptieren. Einerseits kann man sich durch einen Unfall eine periprothetische Fraktur zuziehen, also einen Knochenbruch, welcher dann auf jeden Fall eine komplizierte Reoperation zu Folge hat, oft mit der Notwendigkeit, nicht nur den gebrochenen Knochen zu versorgen, sondern oft auch eine Revisionsprothese einzusetzen, also eine Prothese, welche etwas anders fixiert wird, und so hilft die Situation der periprothetischen Fraktur zu lösen.

Man hat als Träger eines künstlichen Gelenkes auch weitere Risiken zu akzeptieren; hat man am Körper an irgendeiner Stelle eine Infektion, so ist es möglich, dass sich eine Sepsis entwickelt, also Erreger (Bakterien) per Blutbahn in den Körper geschwemmt werden. Auf diese Weise kann es auch nach Jahren nach einer erfolgreichen Prothesenimplantation immer noch zu einer Protheseninfektion kommen, man spricht dann in der Regel von einem sogenannten Low-Grade-Infekt, was bedeutet, dass oft nur relativ leichte Beschwerden vorhanden sind, mit eventuell rezidivierenden leichten Schwellungszuständen, oft sogar mit praktisch normalen Laborbefunden. Die Diagnose eines Low-Grade-Infekts kann in der Regel nur durch eine Punktion des Gelenkes und mikrobiologischer Untersuchung der Flüssigkeit gestellt werden.

Ist ein sogenannter Low-Grade-Infekt nachgewiesen, bestehen je nach individueller Lebenssituation und auch je nach nachgewiesenem Erreger eigentlich nur zwei Möglichkeiten:

Soll die Situation definitiv gelöst werden, muss die Prothese entfernt werden. Oft muss dann sogar für eine gewisse Zeit eine Zwischenlösung gewählt werden, unter fortdauernder antibiotischer Therapie, meist mit einem Spacer aus Antibiotikazement, bis dann nach einer gewissen Zeit unter fortdauernder antibiotischer Therapie wieder eine neue Prothese eingesetzt werden kann (sog. two stage exchange).

Je nach Erregertyp kann unter Umständen sogar in der Revisionsoperation bereits eine erneute Prothese eingesetzt werden unter andauernder antibiotischer Therapie (sog. one stage exchange), ob dies möglich ist, kann aber nur gemeinsam mit dem zuständigen, auf Prothesen spezialisierten Infektiologen, entschieden werden.

Rein durch Antibiotika kann ein Low-Grade-Infekt nicht zur Heilung gebracht werden; das Bakterium haftet nämlich in solchen Fällen als Biolayer direkt an der Prothese, bleibt sozusagen in einer speziellen Lebensform mit der Prothese verbunden, ohne einen aktiven, schweren Infekt zu verursachen, kann aber in dieser an der Prothese anhaftenden Biolayer «Schlafform» leider nicht durch alleinige Medikamente ausgelöscht werden, so dass nur ein Wechsel der Prothese ermöglicht die Low-Grade-Infektion definitiv zu eliminieren.

Hier ist zu erwähnen, dass es sicher vermehrt Risiken gibt zur Entwicklung eines Low-Grade-Infekts. Dazu gehören hohes Alter, schlechter Allgemeinzustand, chronische Infektsituationen, zum Beispiel chronische Harnwegsinfektionen, welche nicht oder zu spät antibiotisch behandelt werden und zu rezividierender Urosepsis führen, verminderte Imunabwehr, Rauchen, schlechter oder falscher Ernährungszustand, nicht regelmässig durch den Hausarzt betreute, vernachlässigte Patienten, Patienten welche zum Beispiel einen chronischen Harnwegsinfekt oder zunehmende Prostataprobleme mit erhöhtem Risiko zu Urininfekten nicht oder zu spät behandeln lassen und weitere Risikofaktoren, welche die allgemeine Imunabwehr erniedrigen.

Ist ein betroffener Patient sehr alt mit diversen internitischen Begleitdiagnosen, so dass in Absprache mit dem betreuenden Internisten und allenfalls zuständigen Anästhesisten das Operationsgesamtrisiko als zu hoch eingeschätzt wird für eine doch relativ stark belastende Wechseloperation, so besteht die Möglichkeit einer lebenslangen, als für den Rest des Lebens durchzuführenden, antibiotischen Suppressionstherapie, meist zum Beispiel mit Doxizyklin.

Durch diese, für den Rest des Leben einzunehmende antibiotische Therapie, kann die Infektion unterdrückt, respektive in Grenzen gehalten werden, so dass oft eine genügend gute Funktion der Prothese beibehalten werden kann, welche ein Leben mit guter Lebensqualität ermöglicht, ohne die grossen Risiken einer oder mehrerer Wechseloperationen auf sich nehmen zu müssen.

In seltenen Fällen, wenn auch unter «one stage exchange» oder «two stage exchange» Bedingungen der Allgemeinzustand eines betroffenen Patienten als zu schlecht beurteilt wird oder auch damit gerechnet werden muss, dass ein betagter Patient die Rehabilitationsphase einer Wiederimplantation einer Prothese kaum erfolgreich wird absolvieren können, kann es auch möglich werden, anstelle der Wiederimplantation eines künstlichen Gelenkes, das betroffene Gelenk zu Versteifen oder im Hüftbereich die Situation einfach ohne Prothese zu belassen, sogenannte Girdlestone Hüfte.

Nach Möglichkeit sollte aber in der heutigen Zeit immer versucht werden eine Versteifungsoperation zu umgehen. Wird tatsächlich als letzte Möglichkeit eine Versteifungsoperation diskutiert, sollten eigentlich immer  mehrere Beurteilungen von entsprechenden Spezialisten eingeholt werden, bevor tatsächlich solche operative Lösungen beschlossen und durchgeführt werden.

Es kann im schlechtesten Fall eine für den betroffenen individuellen Patienten falsch indizierte stark belastende Wechseloperation empfohlen und durchgeführt werden, welche zuletzt zu einer versteiften Situation führt, bei der objektiv betrachtet eine lebenslang durchzuführende Doxizyklinsuppressionstherapie für den Betroffenen die viel bessere Lösung gewesen wäre, mit einer doch funktionellen Gelenksituation! Wenn immer möglich ist also eine lebenslange Suppressionstherapie mit Doxizyklin bei ordentlich funktionierendem Kunstgelenk einer Versteifung vorzuziehen und falls eine Operation möglich ist, dann doch eine Wechseloperation durchzuführen – mit one oder two stage exchange!

Um eine Versteifung möglichst zu umgehen, sollte immer die Beurteilung mehrerer, mit der Materie vertrauten Spezialisten eingeholt werden, um für den individuellen Patienten die individuell beste Lösung zu wählen. Derjenige Operateur, welcher dann auch die Wechseloperation oder unter Umständen auch die Versteifung durchführt, sollte auf jeden Fall vor einem allfälligen Eingriff sämtliche Vorakten des Falles einholen und auch die Situation mit dem betreuenden Orthopäden besprechen um alle relevanten Fakten des Falles in die Beurteilung einfliessen zu lassen; oftmals werden damit nicht nur unnötige Zweitabklärungen vermieden, sondern es ergeben sich Fakten, die zum Beispiel eindeutig die beste Lösung vorgeben.

Eine Wechseloperation oder sogar Versteifungsoperation durchzuführen ohne sämtliche auswärtigen Vorabklärungen einzuholen und ohne den Fall interdisziplinär zu besprechen, muss als schwere Verletzung der ärztlichen Sorgfaltspflicht beurteilt werden und führt oft nur zum Schaden für den betroffenen Patienten! Zweit- oder sogar Drittmeinungen einzuholen,  ist in solchen Fällen oft als Pflicht anzusehen, nicht nur im Sinne einer Empfehlung für den betroffenen Patienten und seine Angehörigen, sondern auch für den betreuenden Arzt, dem das Einholen einer Zweitmeinung eines erfahrenen Kollegen helfen kann, um für seinen Patienten die beste Lösung zu finden!

Informationen bezüglich künstlicher Gelenke → pdf

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